Auch antimikrobielle Oberflächen muss man reinigen
Autorenteam mit Prof. Dr. Bulitta veröffentlicht Report
Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, wäscht sich die Hände, sobald sie oder er zuhause ankommt. Einige Kabarettisten spotten bereits darüber, dass in den Supermarktregalen auch Seife knapp war, was weitgehende Erkenntnisse über das herkömmliche Hygieneverhalten der Deutschen zulasse. Hände waschen wir, weil wir „Draußen“ mit allerlei in Berührung kommen. Oberflächen – Türklinken, Displays, Stuhllehnen oder Lichtschalter – rücken zu Corona-Zeiten noch stärker als sonst als Viren- und Bakterienschleuder in unser Bewusstsein. Nicht umsonst waren Desinfektions- und Reinigungsmittel kurzfristig ausverkauft.
„Bisher standen vor allem Oberflächen in Krankenhäusern, Arztpraxen oder bei der Lebensmittelherstellung im Blickpunkt“, erklärt Prof. Dr. med. Clemens Bulitta, Leiter des Instituts für Medizintechnik am Weidener Campus der OTH Amberg-Weiden. „Jetzt kümmert sich auch die breite Öffentlichkeit stärker um Oberflächen bei Behörden (z.B. Beratungstische), in Geschäften (Handgriffe von Einkaufswägen) oder im Nahverkehr (Ticket-Automat).“ Dabei, so der Wissenschaftler, sei es mit Händewaschen alleine nicht getan.
Da Krankheitserreger auf den Oberflächen sitzen, empfiehlt es sich, vor allem häufig berührte Flächen und Objekte regelmäßig zu reinigen und zu desinfizieren. Da diese Maßnahmen aber nur zum Zeitpunkt der Reinigung wirken und eben nicht dauerhaft, wird sehr intensiv an antimikrobiell wirksamen Oberflächen und Oberflächenbeschichtungen geforscht. Ziel ist es, dass sich Krankheitserreger nicht festsetzen können, bzw. „abgetötet“ werden – und somit auch nicht weiterverbreitet werden können.
Bulitta ist Vorsitzender des 20-köpfigen Fachausschusses „Management hygienisch relevanter Flächen in medizinischen Einrichtungen“ vom Verein der Deutschen Ingenieure. Eine Arbeitsgruppe dieses Fachausschusses hat jetzt einen Report verfasst, der den aktuellen Stand der antimikrobiellen Oberflächentechnologien zur Infektionsprävention zeigt. Das Ergebnis ist Mut machend und ernüchternd zugleich.
„Generell gilt für antimikrobielle Oberflächen: Sie dienen zur Ergänzung der Flächenhygiene und ersetzen die einrichtungsspezifischen Hygienemaßnahmen wie Reinigung und Desinfektion nicht“, erklärt der Professor aus Weiden. Eine Krankheitserreger abweisende Tischplatte allein ist also noch nicht die Lösung. Aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das Autorenteam beklagt in seinem Report, das die derzeitigen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für die Prüfung der Vorgaben noch nicht ausreichen. So ist es bisher meist nicht möglich, zu prüfen, inwiefern antimikrobielle Produkte zur Unterbrechung von Infektionsketten unter Realbedingungen beitragen.
Auch eine Nutzen-Risiko-Abwägung kann derzeit nicht vorgenommen werden. Clemens Bulitta: „Mit Blick auf das drängende Problem steigender Resistenzen müssen wir die Forschung vorantreiben. Ziel sollte es zum einen sein, Prüfverfahren zu etablieren, die eine sichere Bewertung der klinisch relevanten Wirksamkeit von antimikrobiellen Technologien ermöglichen. Zum anderen gilt es auch, den Einsatz dieser Technologien und infektionspräventive Maßnahmen weiter zu entwickeln.“