Von der Praxis in die Hochschule und von der Hochschule in die Praxis
„Gelingender Transfer ist unwahrscheinlich!“ Diesem Statement – das einer funktionierenden Verzahnung von Hochschullehre und Arbeitspraxis kaum Chancen aus Erfolg einräumt – möchte das Projekt OTH mind auf den Zahn fühlen und widerlegen. Denn Fakt ist: immer mehr beruflich Qualifizierte drängen zur Weiterbildung an die Hochschulen. Da wird es Zeit funktionierende und innovative Konzepte zu entwickeln, um von der Praxis an die Hochschule und von der Hochschule in die Praxis zu kommen.
Rolle der Weiterbildung an Hochschulen
Die traditionelle Ausrichtung der Tätigkeitsfelder der Hochschulen – Forschung und Lehre – unterliegt seit mehr als 30 Jahren einem strukturellen Wandel. Sie werden ergänzt um den neuen Bereich der Third Mission[1], der unter anderem die Themenfelder Weiterbildung, Regionalität sowie Kooperationen mit Unternehmen oder Bildungsträgern vereint. Lebenslangem Lernen wird somit sowohl gesellschaftlich als auch hochschulpolitisch ein hoher Stellenwert beigemessen. Im Zeitalter der Digitalisierung sowie des künftigen Arbeitsmarktwandels sind Themen wie lebenslanges Lernen und berufsbegleitende (Weiter-)Qualifizierung in der Hochschullandschaft von hoher Relevanz. Durch die Öffnung der Hochschulen wird ein etappenweises Lernen über alle Lebenssituationen hinweg in der akademischen Weiterbildung ermöglicht. Da sich der Trend der Hochschulbildung immer mehr zur Flexibilisierung und Modularisierung der Bildungsangebote unter Berücksichtigung der fortschreitenden Digitalisierung entwickelt, muss bei der Realisierung neuer Weiterbildungsangebote insbesondere auf die individuellen Bedürfnissen der Weiterbildungsinteressierten und deren familiären Fürsorgepflichten geachtet werden[2]. Das Verbundprojekt OTH mind hat sich zum Ziel gesetzt, die Durchlässigkeit zwischen hochschulischer und beruflicher Bildung zu verbessern.
Forschungsstand
Bestehende Strukturen in der Hochschullandschaft sind überwiegend an traditionell Studierende ausgerichtet. Bei rund 57.000 Studierenden ohne Abitur an deutschen Hochschulen im Jahr 2016 mit einem Anteil beruflich Qualifizierter unter allen Studierenden von circa zwei Prozent in Deutschland[3] und 1,5 Prozent in Bayern[4] handelt es sich in Relation zu traditionell Studierenden um eine kleine Zielgruppe, die jedoch in den vergangenen Jahren stark an Zuwachs gewonnen hat[5]. Sie unterscheiden sich in folgende Merkmale von traditionell Studierenden: Alter, Bildungsbiographie, berufliche Vorerfahrung, Bekanntheitsgrad beruflich Qualifizierte an Hochschulen, Informationsbereitstellung, mehr Bedarf an überfachlichen Kursen (z.B. Lernstrategien), finanzielle und zeitliche Ressourcen sowie sozialer Background[6]. Zudem weist die Zielgruppe der Studierenden ohne Abitur einen höheren Informations- und Beratungsbedarf auf unter anderem zu den Anforderungen im Studium, zur Studienfinanzierung oder aber zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Zulassungs- und Zugangsbedingungen und Anrechnung von beruflichen Kompetenzen[7]. Beruflich Qualifizierte haben ein besonders hohes Interesse an Fachthematiken und Wissensaufnahme, so dass auch eine größere Leistungsbereitschaft vorliegt[8].Um diesen Bedarfen gerecht zu werden, müssen Strukturen und Angebote, ausgerichtet an aktuellen Themen, (weiter-)entwickelt werden[9].
Datengrundlage und deskriptive Ergebnisse
Mit der regionalen Fachkräftebefragung des Projekts OTH mind wurde beruflich qualifizierten Fachkräften in der Oberpfalz zu Weiterbildungsbedarfen befragt. Zielgruppe waren alle Personen, die mindestens eine berufliche Ausbildung im gewerblich-technischen Bereich abgeschlossen haben oder deren Qualifikationsniveau dem eines Meisters/Fachwirts/Technikers entspricht. Insgesamt wurden 5.536 Personen kontaktiert, davon haben 553 an der Online-Befragung teilgenommen. Für die nachfolgende Ergebnisdarstellung wurden aus dieser Stichprobe die Gruppe der technischen Fachkräfte der Region Oberpfalz (n=224) ausgewählt. Die Stichprobe setzt sich aus 86,0 % männlichen und 14,0 % weiblichen Personen zwischen 20 und 29 Jahre zusammen, von denen zum Erhebungszeitpunkt 81,1 % und 9,6 % familiären Verpflichtungen nachkamen. 87,9 % weisen eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Vollzeit auf. An einer Aufstiegsfortbildung (beispielsweise Meister/in oder Techniker/in) nahmen 83,5 % teil beziehungsweise hatten diese bereits abgeschlossen. 80,6 % der Frauen und 74,9 % der Männer hatten ein Interesse an Weiterbildung, jedoch war lediglich 51,6 % der Frauen und 60,2 % der Männer bekannt, dass an Hochschulen Weiterbildungen möglich sind. Anhand dieser Ergebnisse sowie der vorausgesetzten und notwendigen Theorie-Praxis-Verzahnung von modularer akademischer Weiterbildung konnten folgende Transferdimension im Projekt OTH mind #aufstieggestalten herausgearbeitet werden.
Transferdimensionen in OTH mind #aufstieggestalten
Von der Praxis in die Hochschule und von der Hochschule in die Praxis: der Ausbau akademischer Weiterbildung ist ein wechselseitiger Prozess. Um akademische Weiterbildung gesellschaftlich wirksam zu machen und den Transfer für beruflich Qualifizierte zu ermöglichen sind verschiedene Transferdimensionen im Handlungsfeld der akademischen Weiterbildung zu berücksichtigen. Im Kontext des Lebenslangen Lernens wurden für das Projekt OTH mind #aufstieggestalten drei Transferdimensionen erarbeitet: Individuum, Institution, Gesellschaft.
Soziodemographische und familiäre Hintergründe sowie persönlichen Qualifikationen gehören der Individualebene an. Diese individuellen Merkmale und Kompetenzen bedingen zielgruppenadäquate Lehr- und Lernmethoden wie beispielsweise Blended-Learning oder Worked-based Learning, um den Bedarfen beruflich Qualifizierter gerecht zu werden. Weiterhin kann dadurch eine ausgewogene work-life-education-balance ermöglicht werden. Der institutionellen Dimension sind sowohl Unternehmen als auch Hochschulen oder weitere Bildungsträger zuzuordnen. Im Zuge von Kooperationen zwischen regionalen als auch überregionalen Institutionen unter Berücksichtigung der formalen Gegebenheiten, bestehende Strukturen, Regelungen und Gesetzgebungen können gemeinsam Transferangebote entwickelt werden. Die regionale Bevölkerung als auch bestehende Werte und Normen sind in der gesellschaftlichen Dimension zu verorten. Ein Studium ohne Abitur ist im Zuge der Öffnung der Hochschulen eine Möglichkeit Bildung gesellschaftlich wirksam zu machen und somit die Sichtbarkeit der Durchlässigkeit an Hochschulen weiter zu erhöhen. In allen Dimensionen ist der Bezug sowohl zum Lebenslangen Lernen als auch unter den aufgeführten Dimensionen herzustellen.
Angebote
Insgesamt werden auf Basis der erhobenen Ergebnisse für die Zielgruppen verschiedene Bildungsangebote mit thematisch spezifischen Teilangeboten entwickelt und pilotiert. Ein Beispiel dafür ist BeVorStudium. Das Programm ermöglicht beruflich Qualifizierten bereits vor Studienbeginn die Vorbereitung auf ein technisches Studium und gibt Einblicke in die Inhalte, das Niveau und die Arbeitsweisen in einem MINT-Studium. Ergänzt werden diese durch das Modul Physik sowie Studienkompetenz, welches unter anderem Lernmethoden vermittelt und als beratendes Element in das Konzept BeVorStudium integriert ist.
Ein weiteres von OTH mind entwickeltes Programm ist die Berufsorientierung für Studienzweifler/innen: Gemeinsam mit regionalen Unternehmen und Berufsschulen wurde ein dreistufiges modulares Berufsorientierungs- und Ausbildungsprogramm für Studienaussteiger/innen unter Berücksichtigung der Verwertbarkeit von im Studium erworbenen Kompetenzen im Sinne einer (pauschalen) Anrechnung auf die (duale) Berufsausbildung konzipiert. Das Qualifizierungsangebot ermöglicht somit einen Transfer vom Studium direkt in die Praxis. Eine onlinebasierte Informationsplattform für Studienaussteiger/innen (www.perspektiven-schaffen.bayern) ermöglicht der Zielgruppe zusätzlich direkten Zugriff auf weitere Informationen wie beispielsweise eine Jobbörse.
Außerdem wurden (Weiter-)Bildungsmodule für technische Fachkräfte entwickelt. Insbesondere im Bereich Informatik und Robotik sind sie als eine wechselseitige Transferaktivität, von der Praxis in die Hochschule und von der Hochschule in die Praxis, zu sehen. Drei Schwerpunkte sind für die Angebote von besonderem Interesse: Elektro- und Informationstechnik, Maschinenbau und Informatik.
Fazit und Ausblick
Das zur Diskussion gestellte Statement „Gelingender Transfer ist unwahrscheinlich!“ wirft einige Fragen auf, regte zur Diskussion an und wurde im Teilprojekt #aufstieggestalten zu einer neuen These umformuliert: „Gelingender Transfer ist herausfordernd!“. Dieser Herausforderung, einen gelingenden Wissenstransfer nachhaltig in der Hochschule zu verankern nimmt sich OTH mind - #aufstieggestalten unter Einbindung relevanter hochschulinterner als auch –externer Akteure an. Die beschriebene Verzahnung von beruflicher Praxis und akademisch erworbenen Wissens lässt sich im Projekt vor allem hinsichtlich der Entwicklung und Umsetzung modularer und flexibler Bildungsangebote aufzeigen. Der daraus resultierende Kreislauf – von der Praxis in die Hochschule und von der Hochschule in die Praxis – ermöglicht zum einen akademische Weiterbildung im Kontext des Lebenslangen Lernens auf Hochschulniveau und zum anderen umgreift dieser für einen gelingenden Wissenstransfer ein hohes Synergiepotential. Die akademische Weiterbildung kann somit als zentrale Akteurin von Transferaktivitäten eine Brücke zwischen akademischer Bildung, den Bedürfnissen der Berufs- und Arbeitswelt sowie gesellschaftlichen Anforderungen bilden. Im Zuge dessen wird eine Steigerung des Bekanntheitsgrads der Transfermöglichkeiten ermöglicht, um letztendlich Wissen gesellschaftlich wirksam zu machen.
Referenzen
[1] Roessler, I., Duong S. & Hachmeister, C. (2015): Welche Missionen haben Hochschulen? Third Mission als Leistung der Fachhochschulen für die und mit der Gesellschaft. CHE Gütersloh.
Banscherus, U. &Pickert, A. (2013): Unterstützungsangebote für nicht-traditionelle Studierende – Stand und Perspektiven. Thematischer Bericht der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschule“.
[2] Wolter, A. (2011): Die Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Deutschland. Von der postgradualen Weiterbildung zum lebenslangen Lernen. In: Beiträge zur Hochschulforschung 33 (4). S. 8-35.
[3] CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (2018): Zahl der Studierenden ohne Abitur hat sich seit 2010 verdoppelt. http://www.che.de/cms/?getObject=5&getNewsID=2124&getCB=212&getLang=de#publikationenbox
[4] CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (2016): Bayern. Daten Monitoring. http://www.studieren-ohne-abitur.de/web/laender/bayern/
[5] Nickel, S. & Schulz, N. (2017): Update 2017: Studieren ohne Abitur in Deutschland. Überblick über aktuelle Entwicklungen. www.che.de/downloads/CHE_AP_195_Studieren_ohne_Abitur_2017.pdf
[6] Brunner, S., Kretschmer, S., Hoffmann, J. & Zawacki-Richter, O. (2015): Blended Counselling: Konzeption eines Online-Beratungsportals für beruflich qualifizierte Studieninteressierte. In: Freitag, W. K., Buhr, R., Danzeglocke, E., Schröder, S. &Völk, D. (Hrsg.): Übergänge gestalten. Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung erhöhen. Münster: Waxmann, S. 31-48.
Kamm, C., Spexard, A. & Wolter, A. (2016): Beruflich Qualifizierte als spezifische Zielgruppe an Hochschulen. Ergebnisse einer HISBUS-Befragung. In: Wolter, A., Banscherus, U. &Kamm, C. (Hrsg.): Zielgruppen Lebenslangen Lernens an Hochschulen. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“. Münster: Waxmann. S. 165-196.
Otto, A. & Kamm, C. (2016): „Ich wollte einfach noch eine Stufe mehr.“ Vorakademische Werdegänge und Studienentscheidungen von nicht-traditionellen Studierenden und ihr Übergang in die Hochschule. In: Wolter, A., Banscherus, U. & Kamm, C. (Hrsg.): Zielgruppen Lebenslangen Lernens an Hochschulen. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“. Münster: Waxmann. S. 197-224.
Hanft, A., Maschwitz, A. & Hartmann-Bischoff, M. (2013): Beratung und Betreuung von berufstätigen Studieninteressierten und Studierenden zur Verbesserung des Studienerfolgs. In: Hanft, A. & Brinkmann, K. (Hrsg.): Offene Hochschulen. Die Neuausrichtung der Hochschulen auf Lebenslanges Lernen. Münster: Waxmann. S. 110-119.
Jürgens, A & Zinn, B. (2015): Nicht-traditionell Studierende in Deutschland – Stand der empirischen Forschung und Desiderate. In: Elsholz, U. (Hrsg.): Beruflich Qualifizierte im Studium. Analysen und Konzepte zum Dritten Bildungsweg. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. S. 35-56.
[7] Banscherus, U. &Pickert, A. (2013): Unterstützungsangebote für nicht-traditionelle Studierende – Stand und Perspektiven. Thematischer Bericht der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschule“.
[8] Jürgens, A. & Zinn, B. (2012): Nichttraditionell Studierende in ingenieurswissenschaftlichen Studiengängen – Zugangswege, Motive, kognitive Voraussetzungen. In: IHF (Hrsg.): Beiträge zur Hochschulforschung, 34 (4/2012). München. S. 34-53.
[9] Wolter, A. (2011): Die Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Deutschland. Von der postgradualen Weiterbildung zum lebenslangen Lernen. In: Beiträge zur Hochschulforschung 33 (4). S. 8-35.