Beiträge unserer „Zugvögel“
China erleben
Mittlerweile bin ich schon seit zweieinhalb Monaten hier, somit ist auch schon mehr als ein Drittel meines Internships vorbei. Zeit genug also, um den ersten Eindruck von der erlebten Kultur, den Menschen und deren Umfeld beschreiben zu koennen. Um allerdings sich ein umfassendes Bild machen zu koennen sind sechs Monate zu wenig.
Montagmorgen. Bushaltestelle. „Huuuuuup“. Ohne meinen Bus in die Arbeit zu sehen, weiss ich bereits, dass er gleich da ist. Die Hupe ist vor Fensterheber, Klimaanlage und anderer Ausstattung das von allen beliebteste Instrument in Fahrzeugen. Ohne Hupe geht nichts. Fuer uns total ungewohnt, ist es hier eine Selbstverstaendlichkeit. Sie wird weniger wie in Deutschland als Warnsignal aus Aerger, sondern vielmehr als Hinweis „Achtung, hier bin ich“ verwendet. Nichtsdestotrotz wahnsinnig nervig, wenn man eine Stunde im Bus unterwegs ist und einfach nur seine Ruhe haben will, aber der Busfahrer einfach faehrt als waere er der einzige auf der Strasse und alle anderen fuer ihn Platz machen sollen. Ein Wunder, dass wir noch keinen Unfall hatten, aber so viel Ruecksicht scheint doch vorhanden zu sein. Auf dem Weg in die Arbeit sehe ich jeden Tag viele interessante Dinge. Ein Blick aus dem Fenster: ein Strassenkehrer, 500 Meter weiter der naechste. Es ist unvorstellbar wie viele es von diesen gibt. Sie sieht man auf jeder Strasse, egal wie dicht befahren. Sie stehen mit ihren Fahrraedern irgendwo am Strassenrand und kehren ein paar Steinchen vor sich her. Es wirkt fast als wuerden sie den ganzen Tag alles zuerst 200 Meter in die eine Richtung und anschliessend wieder in die andere Richtung zu kehren. Sollte es geregnet haben, steht das ganze Wasser auf der Strasse, die Strassenkehrer schieben dann mit ihren Besen das Wasser zum naechst gelegenen Abfluss, da wie es scheint sich die Strasse nicht zum Abfluss hin senkt. Vieles sieht hier nach Arbeitsbeschaffungsmassnahme aus. Eine Gullideckel muss nicht eben zur Strasse sein. Lieber mit Backsteinen unterbauen und darauf warten, dass ein paar Autos drueber fahren und Broesel daraus machen um spaeter dann die Strasse aufzureissen und wieder zu flicken.
Man sieht auch viele kleine Felder, auf denen angebaut wird, einen Traktor habe ich allerdings fast nie gesehen. Stattdessen wird per Hand umgegraben und gesaeht. Auch beeindruckend finde ich die Baustellen hier. Es wird gebaut was das Zeug haelt. Wo man hinsieht ueberall Kraene und nicht fertige Bauten.
Vor ein paar Wochen wurden alle Interns zum Workshop „Bridging the cultural gap“ eingeladen. Dort wurden uns viele Verhaltensweisen und auch Unterschiede der Kulturen naeher gebracht. Grundsaetzlich kann man sagen, dass die deutsche und die chinesische Kultur wenig bis nichts gemeinsam haben. Man muss fremde Kulturen nicht adaptieren, jedoch sollte man ein gewisses Verstaendnis dafuer aufbringen koennen (akzeptieren).
Um zu verstehen wie die Menschen hier denken ist ein Begriff sehr wichtig: „Chabuduo“. Uebersetzt heisst es so viel wie „ungefaehr“ oder „fast“. Das heisst im uebertragenen Sinne: Es muss nicht perfekt sein, 80% genuegen auch. Fuer Chinesen ist es „gut genug“. Zu beobachten ist diese „natuerliche Nachlaessigkeit“ vielerorts. Ein Gebaeude wird nicht fuer mehrere Jahrzente oder Jahrhunderte gebaut. Wenn es 30 oder 40 Jahre steht, dann ist das voellig ausreichend. Dementsprechend kann man an ein paar Ecken sparen. Anderes Beispiel: Puenktlichkeit. In Deutschland gelebt und erwartet, ist hier eine Verspaetung voellig in Ordnung und zu erwarten. Interessant ist auch wie die Chinesen uns Deutsche sehen. Auf der einen Seite schaetzen sie und fleissig, zuverlaessig, ehrlich, puentklich, praezise (mit hohem Qualitaetsanspruch), organisiert, strukturiert und umweltbewusst. Auf der anderen Seite hingengen wirken wir distanziert, unfreundlich, stur, unflexibel, humorlos, besserwisserisch, direkt und wenig feinfuehlig (wie ein „Bulldozer“).
Die chinesische Kultur ist sehr stark beziehungsorientiert (das beruehmte Guanxi), wohingegen die Deutschen sich durch eine sehr ausgepraegte Sachorientierung auszeichnen.
Hierzu ein kurzer Spruch: Deutschland: „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“
China: „Dienst ist Schnaps und Schnaps ist Dienst“ Im uebertragenen Sinne bedeutet es, dass nicht zwischen beruflichem und privatem getrennt wird. Haeufig sind Arbeitskollegen zugleich auch Freunde mit denen etwas ausserhalb der Arbeit unternommen wird (der "Inner-Circle").
Etwas ganz anderes. In China gibt es kein Rauchverbot in Restaurants, Bars und Diskotheken, das heisst die Kleidung stinkt anschliessend so, dass man gar nicht am Waschen vorbeikommt. Da wuensch ich mir sehnsuechtig das Rauchverbot in Deutschland herbei! Verwunderlich ist auch, dass sehr viele Leute hier rauchen. Wahrscheinlich denken sie sich, dass es ohnehin schon egal ist bei solch schlechter Luft. (Die Luft ist aber nicht immer schlecht, es gibt auch Tage an denen sehr gute Luft ist und wirklich blauer Himme zu sehen ist)
Was ausserdem noch sehr gewoehnungsbeduerftig hier ist, ist die fehlende Umstellung auf Sommerzeit gibt, das heisst die Sonne geht viel zu frueh unter. Wochentags komme ich um 18 Uhr nach Hause, da bleibt nicht mehr viel Zeit um die Sonne geniessen zu koennen. Am Wochenende muessen dann tagsueber die Sonnenstrahlen genutzt werden. Nicht ungewoehnlich ist auch, dass man nach einer Nacht im Club bei aufgehender Sonne heimkommt…
Wer sich jetzt denkt es gefaellt mir nicht und ich habe nur etwas hier auszusetzen, der taeuscht sich gewaltig. Der Bevoelkerung moegen zwar Personen aus dem sogenannten "outer circle" total egal sein, jedoch wird man als Auslaender stets freundlich behandelt. Die Taxifahrer in Shenyang sind meist ehrlich und wuerden nichts in die eigene Tasche schieben. Habe persoenlich auch schon mein Smartphone im Taxi vergessen und erst spaeter bemerkt und dann den Taxifahrer ueber mein verlorenes Handy kontaktiert, woraufhin er es mir sogar wieder vor die Haustuer fuhr ;)
Die Kueche sagt mir auch sehr zu. Man kann wirklich wahnsinnig lecker essen. Die Kueche in Shenyang wird als "Dongbei-Kueche" bezeichnet, also als Nordost-Kueche. Sie zeichnet sich durch eine gewisse starke aber angenehme Schaerfe aus. Aber es gibt auch suesse Sachen, wie die "suessen dumplings" namens 元宵 (yuanxiao), das allseits beliebte guobaorou (锅包肉) oder Kartoffel die mit Zucker ueberzogen sind (Bild).
Letztes Wochenende sind ich und ein paar Freunde anlaesslich meines Geburstags in ein Restaurant gegangen und haben uns dort eine Lammkeule am Spiess servieren lassen. Diese grillt man dann selbst ueber im Tisch versenkter Kohle! Super lecker und einfach eine super Atmosphaere in solchen Restaurants!
Was mir aber am besten im Vergleich zu Deutschland gefaellt ist, dass man nicht nur ein verschiedenes Gericht isst, sondern jeder von jedem Teller etwas nimmt und es auch mal nicht schlimm ist, wenn etwas mal nicht so gut schmeckt. Man bestellt auch immer mindestens ein Gericht mehr als Personen am Tisch sitzen. In Deutschland undenkbar, hier voellig noromal, dass jeder mit seinem abgelutschten Besteck (Staebchen) in den Tellern herumstochert.
Natuerlich kann man nicht immer Reis und das restliche Zeug (in den Genuss Huehnerfuesse zu essen bin ich noch nicht gekommen, aber ja man kann sie ueberall kaufen. Ein ganzes Huhn mit Fuessen oder auch nur die Fuesse einzeln)essen. Da goennt man sich dann schon mal eine Leberkasesemmel beim einzigen wirklichen Baecker (Wempe) in der Stadt :)
Ich koennte noch viel mehr ueber das Leben und die Kultur schreiben, aber ich habe ja noch ueber 3 Monate Zeit, um mit euch weitere Dinge teilen zu koennen. Natuerlich kann man die "Vorurteile" auch nachlesen, aber ein paar davon wirklich vor Ort bestaetigt zu bekommen und zu erleben ist viel spannender! Natuerlich ist nicht alles wahr, davon kann man sich auch ueberzeugen lassen hier. Ich werde aber auf jeden Fall weiterhin noch viel aufsaugen und bei Gelegenheit mit euch teilen!
PS: wer sich ueber meine komische Schreibweise ohne Umlaute wundert, dem sei gesagt, dass ich in der Arbeit eine internationale Tastatur habe und mich das taegliche Schreiben auf dieser sogar soweit beeinflusst, dass ich auch auf meinen eigenen Devices ohne diese schreibe. Ist einfach viel zu umstaendlich ;) Im naechsten Blogeintrag werde ich dann voraussichtlich wieder von Reisen erzahelen. Eine weitere habe ich bereits unternommen, ich gehe aber davon aus, dass demnaechst noch ein weiterer Kurztrip folgt :)
Bis bald und 再見 (zàijiàn)!
Hier noch ein paar Bilder vom Essen
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