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Beiträge unserer „Zugvögel“

Praktikum am Malaviya National Institute of Technology

Theek hai, theek hai! (2. Teil)

Ohne die Flasche zu berühren Wasser trinken und dabei trocken bleiben; übertrieben scharf essen, ohne dass die Nase läuft; auf einer Verkehrsinsel oder in einem wackelnden, überfüllten Zug schlafen; ohne Helme auf der falschen Straßenseite zu Dritt auf einem Motorrad fahren, gerne auch im Dunkeln, freilaufenden Kühen ausweichen und ständig Hupen – das kann hier gefühlt jeder.

In Indien ist die Hilfsbereitschaft und die Kontaktfreude für mich ungewohnt hoch. Es wird wenig Fleisch gegessen – die meisten Restaurants sind „pure Veg“, es gibt viele Vegetarier, alle Lebensmittel haben eine Markierung: Grün für „veg“ und Rot für „non veg“. (Eier sind hier per Definition nicht vegetarisch - genauer überlegt sehr verständlich). Inder tanzen freier und lieben laute, landessprachliche, gerne Bass-lastige Musik, wobei das Soundsystem standardmäßig überdimensioniert ist. Die Bevölkerung ist stets gut gekleidet, die Frauen in bunten Saris und die Männer in Hemden und Anzughosen. Selbst einfache Arbeiter, die in der Sitzhocke Rasen trimmen, tragen Schickes. Meiner Meinung ist die hiesige Bevölkerung modischer, äußerlich cooler (nun auch wesentlich geduldiger, wie zuletzt beschrieben) als die durchschnittlichen Mitteleuropäer. 

Allerdings ist die Außenwirkung durch gesellschaftliche Zwänge bestimmt: Männer sollten Ingenieure und Frauen Ärzte werden, nach dem Studium heiraten und davor keusch leben. Weiterhin hat der Partner aus derselben Kaste zu sein und wird von den Eltern ausgesucht, bestimmt. Selbst wenn sich diese „Werte“ langsam ändern, beharren viele Verwandte auf diese Erwartungen an ihre Kinder (hierzu empfehle ich den Bollywood-Film „3 Idiots“ - tatsächlich sah ich diesen, meinen ersten, indischen Film hier im ratternden Zug; und ich war begeistert. Der Streifen ist wirklich lustig und dabei mit einem gesunden Maß an Kritik). Die Herbergen der Studenten am Campus sind in diesem Sinne strikt nach Geschlechtern getrennt.

Es herrscht ein hierarchisches Klima am Institut, ja generell in Indien. Derjenige, der die vermeintlich höhere Stellung innehält, wird mit „Sir“ oder „Madam“ angesprochen. Betritt beispielsweise ein Professor den Raum, stehen alle Studenten auf und setzen sich erst wieder, wenn sie dazu aufgefordert werden. Die Madams und Sirs nehmen im Grunde jeden Anruf entgegen und verlassen nicht selten für ein Telefonat den Raum, unterbrechen die Veranstaltung; und es wird viel telefoniert in Indien (wobei der Klingelton standardmäßig auf voller Lautstärke steht). Jeder Lieferant ruft an, wohin er genau liefern soll, selbst wenn die Adresse zweisprachig und in dreifacher Ausführung niedergeschrieben ist.

Apropos Klima: in den Wintermonaten hat es hier in Jaipur tagsüber meist um die 20°C, der Himmel ist wolkenfrei und nachts fallen die Temperaturen auf sechs bis zehn Grad. Wegen mangelnder Isolierung, besonders der einfach-verglasten Fenster in meinem Zimmer wegen ist dies jedoch nicht gerade komfortabel. Statt einer für mich gewohnten fest installierten Heizung hat der Raum eben eine Klimaanlage und die kann nur kühlen. Dank eines bollernden Leih-Heizlüfters der Gästehaus-Verwaltung ist das aber notfalls änderbar. Sprich, die Witterung ist des Tages angenehm lauwarm und beständig heiter. Nur im gleich erwähnten Labor brauche ich tagsüber eine Jacke – es ist dort tatsächlich kälter als draußen.

Weg von gesellschaftskundlichen subjektiven Exkursionen, Allgemeinheiten, Hören-Sagen absolviere ich hier ein universitäres Praktikum: ich startete am MNIT ein Experiment im Feld der Feststoff-Biogas-Produktion. Nachdem ich alle Labore mehrfach besichtigte und mit den Mitarbeitern, Doktoranten und Professoren diskutiert hatte und mich durch wissenschaftliche Veröffentlichungen in anspruchsvollem Englisch kämpfte, beschloss ich im „biofuel-lab“ zur Verwertung von Landwirtschaftsabfällen zu forschen; um dann erst einmal weiter „Papers“ zu lesen. In einem 60 tägigem Versuch beobachte ich nun mit Bakterienkulturen und spezieller (Holz-)kohle (englisch: „biochar“) in variierender Konzentration versetztes Weizenstroh. Diese, theoretisch auch aus den Agrarabfällen herstellbare, Biokohle soll die Methanausbeute verbessern. Zum Abschluss werde ich eine Auswertung durchführen und das Ergebnis wird Teil einer Veröffentlichung.

Mein Tagwerk besteht somit aus Recherche, Gaschromatographie und Druckmessungen - beim anschließenden Entlassen des stark riechenden Gases fühle ich mich richtig bio. Das Praktikum ist durchaus vielseitig, so nehme ich zudem okkasionell an Sonderveranstaltungen teil, wie den lehrreichen Gastvorlesungen oder Präsentationen der Doktoranten des Zentrums für Energie und Umwelt.

Neben Sport, Yoga-Unterricht und Restaurantbesuchen erkunde ich in meiner Freizeit Indien: 

Mein engster indischer Freund, Rakesh, hat mich zur Hochzeit seines Cousins eingeladen. Zu diesem Anlass habe ich mir eine traditionelle „Kurta“ (ein knielanges Baumwollhemd) mit Weste und Hose („Pyjama“) schneidern lassen – die Auswahl an Stoffen ist überwältigend; so auch die Preise.

Diese Veranstaltung war indes schräg: den Anfang der Zeremonie im Wohnsitz des Hochzeitspaares haben wir verpasst, jedoch sahen wir den Ritt des Bräutigams auf einem, ob der vielen Feuerwerkskörper verschreckten, bockenden Pferd durch die engen und überfüllten Gassen deren Heimatdorfes. Die Zuschauer warfen mit Geld und äußerst motivierte Trommler waren auch involviert.  Danach fuhren wir in den so gennannten Palast – eine große Halle samt geschmückten Garten. Soweit, so gut. Doch offiziell mussten wir warten, bis der Bräutigam eintritt. Und das sollte dauern: am Parkplatz vor seinem Auto tanzten die anwesenden Männer, um zu demonstrieren wie sehr sie sich freuen, dass er heiratet; ganz nach Brauch; wieder mit Trommlern, sechs an der Zahl, welche in ständig gleichem Rhythmus spielten und das bis zu Ektase; dazu Schnaps und fünf Photographen mit LED-Scheinwerfern und sogar einer surrenden Kameradrohne.

Das war schon lustig, doch es dauerte zwei Stunden. Schließlich durfte der zukünftige Ehemann auf ein abermals verängstigtes Pferd steigen – Feuerwerk explodierte ständig im Hintergrund, denn wir waren im Hochzeitspalastviertel und einige weitere Feiern umgaben uns -, über den Parkplatz reiten und dann wurde wieder getanzt und getrommelt; abermals eine Stunde. Mir war kalt und wir haben ein paar Mal die Konventionen ignoriert und uns reingeschmuggelt, um zu Essen und für Kaffee mit viel zu viel Milch und Zucker. Der Bräutigam betrat, nachdem er eher genervt und übermüdet, statt feierlich eine Schnur durchtrennt hatte, den Vorgarten des Palastes. Neben einem großen Zelt und Streetfood-Ständen gab es auch eine Bühne, auf die er sich begab, um dort mit seiner Braut für eine weitere Stunde gemeinsam mit jedem Gast fotografiert zu werden. Dies wurde parallel von einem Kamerakran gefilmt und für die übersichtliche Anzahl an Gästen sogar auf Bildschirme übertragen. Nachdem wir dann um ein Uhr morgens auch ein Bild mit dem Paar erhascht hatten, setzten wir uns endlich in den Palast, um abermals phantastische indische Speisen zu genießen. Auf der anschließenden Heimfahrt war ich doch ziemlich irritiert, wie sehr das Ablichten der Feier im Vordergrund stand: Ein Paar und seine Gäste, nur verbunden für den äußerlichen Eindruck...

Rakeshs Familie ist bezaubernd gastfreundlich und ich wurde warmherzig umsorgt. In dem quirligen Haushalt in einem Dorf unweit von Hisar war es sehr lebendig: die Frauen kochten teils zu viert in der kleinen Küche, die Belegung der Zimmer wechselte jeden Tag, da ständig Verwandte anreisten und wieder gingen. Bei einem Gespräch über den Überbau meines Indien-Aufenthaltes mit Rakeshs Schwager kamen wir kurzerhand auf die Thematik meines Praktikums zu sprechen und wir wurden unerwartet eingeladen, eine Biogasanlage in Haryana zu besichtigen. Da der Schwager plant, auf seinen landwirtschaftlichen Ländereien solch eine Anlage zu errichten, gingen wir einen Tag später abermals auf Besichtigungstour mit abstoßendem Geruch.

Mittlerweile bin ich übrigens regelmäßig in der Mensa des im ersten Blogeintrag verrufenen Aurobindo-Hostels, um dort reichlich gutbürgerliche indische Speisen zu vertilgen; und zwar umsonst, denn wir als hellhäutige Ausländer werten wohl das Image der Cafeteria auf, sind quasi Qualitäts-Werbung. Zudem wohnen viele junge Männer hier, mit denen ich massig Spaß haben kann.

Ach „theek hai, theek hai” (hindi für: „okay, okay“) ist neben „matlab”, welches mich des gleichnamigen Computerprogramms wegen stets aufhorchen lässt, zwar eines der wenigen Worte, die ich in der fremden Sprache wirklich verstehe, doch wie so oft in Indien erfasse ich mehr, als ich denke, wenn ich den Kopf ausschalte und mich einfach darauf einlasse.

Fortsetzung folgt.

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