Karriere auf Seitenstraßen
Nicht immer verläuft die Karriere geradlinig, manchmal bleibt nichts anderes übrig als kleine Umwege zu nehmen. So ist es beispielsweise für Studierende ohne Abitur. Ihr Weg gestaltet sich anders, als der von Abiturienten, mit anderen Hürden und Vorteilen. Aber mit der richtigen Navigation kommen am Ende auch sie ans Ziel.
„Vom Tellerwäscher zum Millionär“ Der Spruch steht stellvertretend für den American Dream: jeder kann es beruflich überall hinschaffen, wenn er nur hart genug dafür arbeitet.
Die Inbrunst mit der die Amerikaner an diesem Ideal festhalten, fehlt den Deutschen. Zu viele Erfahrungen und Berichte haben uns bewiesen, wie utopisch es ist zu glauben, man könne es vom armen Tellerwäscher zu etwas viel größerem als den Leiter des Abwaschtrupps bringen.
Die Nachrichten sind voll Statistiken über Ungleichheit in der Bevölkerung: im Westen Deutschlands verdienen die Menschen etwa 700 Euro mehr im Monat als im Osten[1], Frauen bekommen 6 % weniger Gehalt[2] und schwerer eine Führungsposition[3] als ihre männlichen Kollegen. In der Regel gilt: Kinder von Akademikern, werden später auch Akademiker, Kinder von Nicht-Akademikern nicht[4]. Das Wissen über die Ungleichheit in der Gesellschaft ist in unseren Köpfen präsenter, als das Vertrauen in den American Dream.
Der gescheiterte American Dream
Viele glauben unser Gesellschaftssystem ist kaum durchlässig. Einige Ungleichheiten lassen sich auch nicht schön reden, aber wenigstens gibt es in manchen Bereichen eine Entwicklung in die positive Richtung. Nehmen wir die Unterschiede in der Bildung.
Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass die Entscheidung auf diesem Gebiet in der vierten Klasse fällt, beim Übergang in eine höhere Schule. Denn es haben sich, unbemerkt von vielen, Seitenstraßen gebildet, die parallel zur üblichen Karriereautobahn einen Weg die berufliche Laufbahn hinaufführen.
Ein erster Schritt diese Straße entlang ist ein Studium. Dafür ist nicht zwangsläufig ein Abitur nötig. Das Problem ist, ohne ein Navigationsgerät, dass über diese Pfade abseits des Mainstreams leiten, kennen einige den Weg nicht, den sie nehmen müssen, oder trauen sich nicht ihn zu betreten. Schade, finde ich. Deswegen hier eine kurze Navigation:
Die Startadresse
Wer kein Abitur hat, macht üblicherweise eine Ausbildung. Von diesem Startpunkt aus haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir folgen diesem Weg für 3 Jahre oder solange bis wir einen Abschluss als Meister, Techniker oder etwas Gleichwertigen haben. Je nachdem was davon wir als erstes erreichen. Dann biegen wir ab.
Die Strecke
Anstatt die bisherige Arbeit weiterzumachen, bewerben wir uns an einer Hochschule. Die formalen Zulassungskriterien dafür sind erfüllt. Das ist abgehakt. Was noch bleibt sind die Inhalte. Fehlendes Grundwissen ist ein Grund warum viele vor einem Studium ohne Abitur zurückschrecken. Immerhin ist Mathe Teil sehr vieler Studiengänge. Vorausgesetzt wird dafür das Wissen aus der Oberstufe. Schwierig für jemanden, der keine Oberstufe besucht hat.
Versuche ich den Vergleich mit dem Straßennetz aufrecht zu erhalten, müssen wir an dieser Stelle einen kurzen Stopp an der Tankstelle einlegen. Was wir dort brauchen ist kein Benzin, sondern ein anderer Treibstoff: Vorkenntnisse. Diese bekommen wir in einem Kurs, der vor dem eigentlichen Studium stattfindet. Er wird von verschiedenen Hochschulen angeboten und ist meistens berufsbegleitend[5].
Allen, die denken, sie müssen damit einen viel größeren Mehraufwand treiben, als Studienanfänger mit Abitur, denen kann ich sagen: auch die Menschen auf der Karriereautobahn müssen hin und wieder an einer Tankstelle anhalten, sonst bleiben sie früher oder später auf der Strecke liegen. Außerdem können Studenten die Zeit, die sie beim Auftanken verloren haben, später wieder aufholen. Durch die Erfahrungen aus Ausbildung und Beruf haben Studierende ohne Abitur im praktischen Teil des Studiums einen Vorteil.
Die Zieladresse
Nach dem Studium kommen wir schließlich am gleichen Ziel an, wie diejenigen auf der Autobahn. Vielleicht war unsere Strecke nicht so geradlinig, mit mehr Abzweigungen und Geschwindigkeitsbegrenzungen, aber letztendlich ist das Ergebnis dasselbe. Wir haben unseren Hochschulabschluss erreicht und können in Zukunft auf der Karriereautobahn weiterfahren – solange bis am Horizont der American Dream zu sehen ist.
[1]https://www.tagesspiegel.de/politik/ungleiche-lebensverhaeltnisse-mit-ost-west-einkommensscheren-wird-stimmung-gemacht/22882156.html
[2]https://www.tagesschau.de/faktenfinder/inland/genderpaygap-103.html
[3]https://www.bpb.de/izpb/198038/ungleichheiten-zwischen-frauen-und-maennern?p=all
[4]https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/139749/materialien-zum-kapitel-soziale-ungleichheit
[5]https://www.oth-aw.de/forschen-und-kooperieren/aktuelles-in-der-forschung/oth-mind/bildungsangebote-oth-mind/#bevorstudium-2018